Wir mauern uns ein
Der wachsende Migrationsdruck auf die Außengrenzen Europas ist eine Folge der sich stetig verschlechternden Lebensbedingungen in Afrika, auf dem Kontinent, der in besonderem Maße durch Krieg, Hunger und Klimakatastrophen von den negativen Folgen der neoliberalen Globalisierung betroffen ist. In vielen afrikanischen Ländern haben die Menschen kaum etwas zu essen, es gibt für sie keine medizinische Versorgung, sie haben keine Lebens-, ihre Kinder keine Entwicklungschancen. Pure Not treibt Millionen von ihnen in die Flucht; mehr als ein Drittel der Flüchtlinge stirbt auf dem Weg durch die Wüste.
Diese Menschen haben nur die Wahl zwischen Pest und Cholera: Verhungern und verdursten oder dorthin fliehen, wo Wohlstand und Wohlleben nicht zuletzt auf der gewaltsamen Aneignung afrikanischer Reichtümer basieren, nach Europa. Viele Überlebende erreichen Europa nie, sondern stranden hilflos an einer der Außengrenzen am Evros, dem Grenzfluss zwischen der Türkei und Griechenland, in der Ägäis, im Mittelmeer oder in einer der nordwestafrikanischen Küstenregionen, insbesondere in Marokko.
Tägliche Repressalien und offener Rassismus
Die Flüchtlinge, die nach monatelangen Wanderungen durch die Wüste in Marokko ankommen, werden durch die Behörden nicht nur nicht mit dem Nötigsten zum Überleben versorgt, sondern im Gegenteil ihrer letzten Habseligkeiten beraubt. Bis jetzt jedoch sind dort alle Flüchtlinge völlig rechtlos und erhalten keinerlei staatliche Zuwendungen. Als Illegale sind sie ohne Rechte und ohne Schutz den täglichen Repressalien und einem offenen Rassismus ausgesetzt.
Menschenrechtsverletzungen gegen Flüchtlinge durch marokkanische Sicherheitskräfte sind an der Tagesordnung. Es ist gängige Praxis, dass von Flüchtlingen aus Plastikplanen errichtete Notunterkünfte durch Ordnungskräfte täglich zerstört werden. Menschen werden als lebende Fracht verladen, einzeln und weit voneinander entfernt in der Wüste des Grenzgebietes zu Algerien ohne Schuhe ausgesetzt. Sie werden in lebensfeindlicher Umgebung zum Sterben ausgesetzt, selbst Frauen, die gerade ein Kind geboren haben, werden ihrem tödlichen Schicksal überlassen. Die Polizei ist jetzt auch dazu übergegangen, Flüchtlinge im Norden zu verhaften, sie widerrechtlich nach Rabat und Casablanca zu deportieren und sie auf der Straße auszusetzen, oft vor dem Gebäude der Caritas und der Evangelischen Kirche nach dem Motto, hier sind sie, kümmert euch um sie.
Die Migranten und Flüchtlinge befinden sich zu Tausenden in einer unentrinnbaren Zwickmühle: sie können weder ihre Reise fortsetzen, noch umkehren, noch im Land bleiben. Marokkanischen Bürger/innen ist bei Strafe untersagt, auch nur die geringsten Hilfeleistungen zu gewähren. Einzig die vor Ort tätigen christlichen Organisationen von Marokko und einige kleinere NGOs nehmen sich der himmelschreienden Not an, wobei die personellen und finanziellen Kapazitäten völlig unzureichend sind. Trotzdem nimmt die Zahl der Flüchtlinge in den letzten Jahren dramatisch zu, kommen immer mehr Afrikaner, inzwischen auch Asiaten, nach Marokko, weil andere Fluchtwege versperrt sind.
Unsere politische und moralische Verantwortung
Für diesen skandalösen Umgang mit Menschen, die vor Gewalt und Elend fliehen, sind wir Europäer zu einem großen Teil verantwortlich, und zwar in doppelter Weise. Der erste, der außenpolitische Skandal, besteht darin, dass an den Außengrenzen der EU alles unternommen wird, um Flüchtlingen den Zutritt zu den Ländern der EU zu verwehren. Die Politik der europäischen Staaten hat Europa durch unüberwindbare, militärisch gesicherte Grenzzäune und durch Verfolgung der Flüchtlinge zu einer uneinnehmbaren Festung gemacht mit dem Ziel, möglichst keinen Flüchtling hereinzulassen. Jedes Jahr verbluten Menschen bei dem Versuch, den sechs Meter hohen Stacheldrahtzaun zwischen Marokko und der EU zu überwinden. Die EU lässt es zu, dass zahllose Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, weil sie seeuntüchtige Boote benutzen. Viele werden durch die parlamentarisch nicht kontrollierte „Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen“ (Frontex) aus dem Hoheitsgebiet der EU zurückgedrängt, was oft ihren sicheren Tod zur Folge hat. Marokko und Libyen werden von der EU jedes Jahr mit Millionen Euro unterstützt, um unter konsequenter Missachtung der Menschenrechte Flüchtlinge von der EU fernzuhalten.
Zum zweiten, zum innenpolitischen Skandal, verdichten sich die Maßnahmen und gesetzlichen Regelungen innerhalb der Länder der Europäischen Union, die das Ziel verfolgen, Flüchtlingen, denen die Einreise in ein EU-Land gelungen ist, den Aufenthalt entweder sofort zu verweigern oder so schwer wie möglich zu machen.
Ein trauriger Höhepunkt der EU-Abschottungspolitik für Flüchtlinge war der 8. Juni 2013, als das Rücknahmeabkommen der EU mit Marokko unterzeichnet wurde. Danach sollen alle Afrikaner, die in der EU kein Bleiberecht haben und über Marokko eingereist sind, nach Marokko abgeschoben werden.
Autor: Achim Schwabe ist pax christi-Mitglied in Viersen, Mitglied der Landessynode der Ev. Kirche im Rheinland und Mitglied des Arbeitskreises EU-Außengrenzen der Ev. Kirche im Rheinland.
Der Artikel ist erschienen in pax_zeit 2_2014